Der ager vaticanus und die kaiserzeitliche Petrusmemoria



Das Gelände, auf welchem sich die wohl bekannteste Kirche der katholischen Christenheit erhebt, lag ursprünglich außerhalb der aurelianischen Mauer und gehörte nicht zum Gebiet der Stadt Rom. Die Bezeichnung ager vaticanus erhielt der Hügel bereits in republikanischer Zeit. Das heutige Gebiet des Vatikans umfasst jedoch nur einen kleinen Teil dieser Fläche, welche sich am rechten Tiberufer vom Monte Mario bis zum Gianicolo ausdehnte und dabei den mons vaticanus (Vatikanhügel), die vallis vaticana (Vatikantal) und den campus vaticanus (Vatikanfeld) umschloss. Da es für Wohnsiedlungen zu abgeschieden lag, wurde es als Begräbnisstätte genutzt. In der Kaiserzeit hingegen entwickelte sich das Areal zu einem privilegierten Wohnbereich mit prächtigen Villen, von denen einige in kaiserlichen Besitz waren. Kaiser Caligula (37-41) ließ hier im Garten des mütterlichen Anwesens einen Zirkus für Kämpfe zwischen Sklaven und Raubtieren anlegen, der sich südlich der heutigen Mittelachse von St. Peter befunden hat und bei dessen Bau einige der heidnischen Gräber weichen mussten. Auf seiner Spina, der Wendemarke für Wagenrennen, stand bis 1586 der Obelisk, der sich jetzt auf dem Petersplatz erhebt. In den Jahren um 64 fanden in diesem Zirkus die Christenverfolgungen unter Kaiser Nero statt, zu dessen Opfern die Apostel Petrus und Paulus zählen sollen.

Das Martyrium des Petrus an diesem Ort - der Legende nach wurde er mit dem Kopf nach unten gerichtet gekreuzigt - liegt zwischen den Jahren 64 und 67. Nirgends eindeutig belegt, soll er in einer Nekropole nahe des Circus Neronis in einem einfachen Erdgrab bestattet worden sein.

In den folgenden Jahren wurde der Zirkus dem Verfall preisgegeben und schließlich beseitigt. Im Zuge des Abrisses wurde die Fläche frei und auch dort entstand eine heidnische Nekropole.

Grabungen der Jahre 1940-49 brachten die Erkenntnis, das die christliche Gemeinde Roms im 2. Jahrhundert an eben jener Stelle, wo sich heute der eindrucksvolle Baldachin Gian Lorenzo Berninis über dem Papstaltar inmitten des Petersdoms erhebt, dass Grab des Apostelfürsten annahm.

Dieser Grabbezirk bestand zunächst aus einer Reihe von ärmlichen Bodengräbern, welche mit Ziegeln abgedeckt wurden und keinerlei Grabbauten und Inschriften besaßen. Im Laufe des 2. Jahrhunderts änderte sich die Bebauung jedoch und es wurden zahlreiche aufwändig gestaltete Grabbauten errichtet (Abb. 1). Um das einfache Apostelgrab nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, brachten die Christen in der Mitte des 2. Jahrhunderts an einer Stützmauer, der sogenannten Roten Mauer, eine mit kleinen Giebel und Säulchen geschmückte Nische an - über dem Grab wurde eine Memoria errichtet (Abb. 2 und 3).

Während der Grabungen wurden zwei Hinweise entdeckt, welche darauf schließen lassen, dass die frühen Christen an dieser Stelle tatsächlich das Grab des Petrus wähnten. Zum einen fand man im mit Nischen und Statuen aus Stuck geschmücktem Grab der Valerier eine vieldiskutierte, heute fast verschwundene Inschrift: Petrus roga Iesus Christus [sic] pro sanc(tis) hom(ini)b(us) chrestian(is) [ad] corpus suum sepultis. - Petrus, bitte Jesus Christus für die frommen Christen, die neben seinem Leib bestattet sind. Diese Inschrift wird verschiedentlich in das Ende des 3. Jahrhundert bzw. an den Anfang des 4. Jahrhundert datiert. Und zum anderen wurde auf der rückwärtigen Roten Mauer der Memoria das fragmentarische griechische Graffiti ¨PETR¨ gefunden, woraus Gelehrte schlossen, das der ursprüngliche Text ¨Petrus ist/liegt hier¨ lautete (Abb. 4). Diese Annahme ist jedoch nicht unumstritten, wobei sich auch hier keine sichere Aussage treffen lässt.

Ob Petrus in dieser Nekropole seine letzte Ruhe fand, wird nicht mit abschließender Sicherheit geklärt werden können und ist schlussendlich eine Frage des je eigenen Glaubens. Und dennoch bildete die Annahme der frühen Gemeinde die Grundlage dafür, dass sich eine nun schon fast zweitausend Jahre andauernde kontinuierliche Tradition der Verehrung dieses Ortes entwickeln und bewahren konnte.


Abb. 1 Die römische Nekropole unter Alt-S. Peter. Plan (nach Esplorazioni, II Taf. CV)
aus: Louis Reekmans, Bemerkungen zum Petrusgrab unter der Konstantinischen Basilika am Vatikan, in Boreas 20, 1997, Seite 51.



Abb. 2 Rom, Petersbasilika, Apsis: die um 324 von dem konstantinischen Bau umschlossene, um 160 errichtete Ädikula über dem vermutlichen Petrusgrab.
(Rekonstruktion nach Esplorazioni und Ward-Perkins)
aus: H. Brandenburg, Roms frühchristliche Basiliken des 4. Jahrhunderts, Heyne Verlag, München 1970, Seite 127.



Abb. 3 St. Peter, Rekonstruktion des Schreins aus dem 2. Jahrhundert
aus: R. Krautheimer, Rom, Beck Verlag, München 1996, Seite 31.



Abb. 4 Graffito der Roten Mauer neben der Petrus-Memoria mit Nennung Petri
(nach E. Kirschbaum, Die Gräber der Apostelfürsten [1974] Abb. 56)
aus: Louis Reekmans, Bemerkungen zum Petrusgrab unter der Konstantinischen Basilika am Vatikan, in Boreas 20, 1997, Seite 70.


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